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RPV und SEV

Das Rangierpersonal verselbstständigt sich

Das Rangierpersonal, das zum Teil im VSEA, zum Teil in der AUST organisiert war, kämpfte wohl in beiden Verbänden mit und erhoffte dadurch eine Besserstellung. Da es aber in beidern Verbänden nur Mitläufer war, also ohne eigene Vertretung, blieb für die Rangierer der Streik letztlich enttäuschend. Vor dem mustergültig durchgeführten NOB-Streick wurden die Wagenwärter, wie damals die Rangierarbeiter bezeichnet wurden, mit einem Anfangsgehalt von Fr. 1`400.- im Jahr besoldet. Nach dem Streik belief sich der Anfangslohn aber nur noch auf FR. 1`380.- im Jahr. Die Höchstbesoldung allerdings wurde um Fr. 60.- von Fr. 1`740.- auf Fr. 1`800.- angehoben. Die Aufbesserungsquote betrug alle zwei Jahre Fr. 60.-. Es lag jedoch im Ermessen der Vorgesetzten, dem Rangierarbeiter die Aufbesserung vorzuenthalten, wenn dieser sich auf irgend eine Art missliebig gemacht haben sollte. Wohl mancher Kollege, der auf irgend eine Art bei seinen Vorgesetzten Anstoss erregt hatte, musste statt nur zwei Jahre volle vier Jahre auf seine bescheidene Aufbesserung warten. Dass das Rangierpersonal mit dem Ergebnis des Streiks nicht befriedigt war, versteht sich, umsomehr, als auch weitere Bestimmungen nicht seinen Vorstellungen entsprach: Rangiervorarbeiter gab es damals z.B. noch nicht. Den Dienst als Ablöser des Pfeifers, wie damals der Rangierleiter bezeichnet wurde, besorgte der älteste Wagenwärter der Gruppe. Er erhielt pro Tag eine Stellvertreterzulage von Fr. 1.- pro Tag, wenn er mehr als 30 Tage ununterbrochen diesen Ablöserdienst ausgeführt hatte. Ergab sich hingegen ein Unterbruch, so begann die Frist wieder von vorne zu zählen. Auch bei den Uniformen klemmte es: Die Blusen und Mützen hatte das Personal aus eigenen Mitteln anzuschaffen. Alle vier Jahre erhielt das Rangierpersonal einen Regenmantel, die Ablöser allerdings nicht. Unter diesen Umständen fiel der Gedanke das Nordostbahn-Rangier, sich von VSEA und AUST selbständing zu machen, auf fruchtbaren Boden. Von Schaffhausen aus erging der Ruf an das Rangierpersonal der NOB-Bahnhöfe, sich zu einer Tagung auf den 08. August 1897 in Schaffhausen einzufinden, um die Lage des Rangierpersonals zu besprechen und die weiteren Massnahmen zu treffen. Dem Ruf folgten 42 Kollegen aus den Bahnhöfen Zürich, Zug, Brugg, Romanshorn, Schaffhausen und Winterthur. Sie beschlossen, sich zu einem eigenen Verband zusammenzuschliessen.

Der Rangierpersonal-Verband (RPV-NOB)

Der Gründungsakt des Rangierpersonal-Verband der Nordostbahn (RPV-NOB) wurde am Sonnatg, 29. August 1897 in Winterthur vollzogen. Der Verband zählte im Gründungsjahr fünf Sektionen mit 219 Mitglieder: Zürich 110, Winterthur 47, Schaffhausen 15, Brugg 13, Romanshorn 22, Zug 12. Jede Sektion erhielt eine Vertretung im Zentralvorstand. Als Zentralpräsidnet wurde Kollege J. Stähli von der Sektion Romanshorn gewählt. Bei einem Monatsbeitrag von 50 Rappen an die Zentralkasse – Sektionskassen gab es keine – musste sich jedes Mitglied verpflichten, beim Todesfall eines Mitgliedes einen Franken zu bezahlen, der den Hinterbliebenen als Unterstützung zufallen würde. Der kleine Nordostbahn-RPV stellte bald fest, dass nur ein Zusammenschluss Stärkung bedeuten könne. Er suchte deshalb beim VPST Anschluss, wurde aber mit der lakonischen Antwort abgewiesen, der RPV-NOB sei nur eine lokale Organisation. Zuerst müsste das Rangierpersonal aller Bahnen im RPV organisiert sein.

Der Schweizerische Rangierpersonal-Verband (SRPV)

Gestärkt durch die erwähnten Vorkommnisse und den daraus resultierenden Kampfgeist ging der kleine RPV-NOB sofort ans Werk. Auf Antrag der Sektion Winterthur wurde ein Kredit von Fr. 200.- aus der Zentralkasse bewilligt. Zwei Mitglieder der Zentralvorstandes sollten damit eine Agitationsreise zur Organisierung des Rangierpersonals auf allen schweizerischen Bahnhöfen unternehmen. Als Agitatioren wurden der Zentralpräsident J. Stähli sowie der Zentralkassier bestimmt. Nur mit grösster Mühe gelang es, die NOB dazu zu bewegen, den beiden die notwendigen Rasttage zu gewähren. Die Agitationsreise begann anfangs Januar 1899. überall begegneten den beiden Werbeaposteln auf ihrer Reise Schwierigkeiten. In Basel war man im Begriff, einen Rangier- und Weichenwärter-Verband zu gründen. In Biel stiess man auf sprachliche Schwierigkeiten. Die beiden Agitatioren verzichteten deshalb auf die weiterreise nach Neuenburg. In Olten musste man mit eigenen Runden Bier nachhelfen, um die Gemüter in Stimmung zu bringen. In Bern stellte sich nach anfänglichem Zögern ein voller Erfolg ein. In der AUST-Hochburg Luzern hingegen musste man unverrichteter Dinge abziehen, während die VESA organisierten Goldauer Kollegen glaubten, diesen nicht verlassen zu können. Einen vollen Erfolg hatten die Werbeapostel lediglich auf den Bahnhöfen Sargans, Rorschach und St.Gallen. Bei der Rückkehr stellten sie fest, dass der bewilligte Kredit bis auf 5 Rappen aufgebraucht war. Durch die Selbständigkeitgelüste des Rangierpersonals aufgeschreckt, befürchtete der VSEA eine Abspaltung des bei ihm organisierten Rangierpersonals. Er zeigte sich deshalb bereit, den Rangieren eine Vertretung in der VSEA-Leitung einzuräumen. Diese Einsicht kam aber zu spät. Ein weiter drohender Konflikt löste sich mit der 1897 erfolgten Gründung des Schweizerischen Weichen- und Bahnwärterverbandes (VSWB). Die Basler Rangier-Kollegen konnten ebenfalls dem SRPV an schliessen. Die Früchte der Agitationsreis reiften rasch. Bereits am 5. Februar 1899 wurde zur Gründungsversammlung des Schweizerischen Rangierpersonal-Verbands im Hotel „Rütli“ in Luzern eingeladen. Dem Aufruf folgten mehrere hundert Mann. Sie vollzogen die Gründung und beauftragten eine 11 köpfige Kommission mit der Ausarbeitung der Statuten. Genau einen Monat später, am 05. März 1899, konnte eine weitere Versammlung in Basel den Statutenentwurf durch beraten und genehmigen. Gleichzeitig wählten die Delegierten die neue Zentralleitung, die sich auf folgende Plätze verteilt: Präsident in Winterthur, Vizepräsident in Basel, Sekretär und Kassier in Zürich. Am Ende des Gründungsjahres 1899 fand die erste Delegiertenversammlung statt, welche die Tätigkeit und die bedeutenden Beschlüsse des Zentralvorstandes vom laufenden Jahr gut hiess. Man stellte sich von Anfang an auf den Standpunkt, dass der SRPV nicht „nur“ eine Gewerkschaft im engeren Sinne, das heisst mit materialisten Grundsätzen sein könne. Es galt auch der Schaffung von Wohlfahrtseinrichtungen, wie sie bereits bei Bruderverbänden bestanden. Dieses Fundament hat heute allen Stürmen und Neuerungen erfolgreich getrotzt.

Vom losen Kartell zum Schweizerischen Eisenbahnerverband (SEV)

Eine erste Wieder-Annäherung erfolgte im Jahr 1908. Es entstand zwar kein Einheitsverband, doch immerhin ein loses Kartell von Eisenbahnverbänden, dem die AUST, der VPST sowie der SZPV angehörten. Das Kartell spielte vor allem in den Verhandlungen über das neue Besoldungsgesetz im Jahr 1910 eine wichtige Rolle. Im Kartell fehlten allerdings die beiden Verbände der Lokführer (VSLF) und -heizer (VSLH). Diese strebten eine Fusion an, die jedoch wegen ideologischer Differenzen misslang. Der VSLH erweiterte sich in der Folge zum Schweizerischen Lokomotivpersonalverband (SLPV) und schnitt dem VSLF damit den Mitgliedernachwuchs ab. In den folgenden Jahren wurden noch einige andere Zusammenschlüsse in Erwägung gezogen, allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Es brauchte die grossen Entbehrungen und Nöte des Ersten Weltkrieges, um die gewerkschaftliche Einigung des Eisenbahnpersonals richtig in Schwung zu bringen. Ein erster Schritt dazu war die Neugründung des Verbandes schweizerischer Eisenbahnangestellter (VESA). Der neue VESA nahm am 01. Januar 1918 seine Tätigkeit auf. Er trug bereits den Charakter einer eigentlicher Einheitsorganisation und bildete eine Vorstufe zum heranreifenden SEV. Er hatte mit dem früheren VESA nur wenig gemein. Er umfasste die sechs Unterverbände VPV, SBV, VAS, RPV, WPV, und VPT (heute Bezeichnung). Das Sekretariat führte der mit der Materie bestens vertraute Generalsekretär Nationalrat Emil Düby, Vater des späteren Verbandspräsidenten SEV, Kollegen Hans Düby. Als Adjunkt amtierte Paul Perrin und als Sekretär Robert Bratschi. Die schwere wirtschaftliche und soziale Lage als Folge des vierjährigen Krieges, die grosse Not unter der arbeitenden Bevölkerung und schliesslich der Generalstreik führten zu Gesprächen mit den noch aussenstehenden Verbänden des fahrenden Personal (SZPV, SLPV) und der AUST. Mit der Beitrittserklärung des VSEA zum Schweizerischen Gewerkschaftbund war ein wichtiges ideologisches Hindernis für einen Zusammenschluss aller Eisenbahner aus der Welt geräumt. Mit der Ausnahme des VSLF gehörten alle Eisenbahnverbände jetzt dem SGB an. Die letzten Hindernisse fegte der für die Solidarität der Eisenbahner so wichtige Generalstreik vom November 1918 weg. Der Einheitsverband wurde fast über Nacht zur Selbstverständlichkeit. Die Diskussionen drehten sich bald nur noch um die Form und das Vorgehen. Am 30. November 1919 schliesslich fand in Bern Gründungsversammlung statt. Der Einheitsverband, der „Schweizerische Eisenbahnerverband“ (SEV) war verwirklicht. Damit fand auch beim jubilierenden Schweizerischen Rangierpersonal-Verband das 22jährige harte Ringen um die Einheit aller Eisenbahner seinen Abschluss.

 

Zentralpräsidenten des RPV 1897 – 1991 

J. Stähli Romanshorn 1897 – 1898
M. Pletscher Winterthur 1899 6 Monate
Th. Brodbeck Basel 1899 – 1902
H. Heidelberger Zürich 1903 – 1911
J. Jucker Winterthur 1912 – 1919
B. Enderlin Zürich 1920 – 1929
G. Erlacher Basel 1930 – 1936
G. Bernasconi Basel 1937 – 1941
H. Schmid (Ehrenpräsident) Zürich 1942 – 1952
S. Mella Zürich 1953 – 1962
W. Schoch Zürich 1963 – 1975
H. Hämming Zürich 1976 – 1984
J. Jud Zürich 1985 – 1991
B. Borer Basel Seit 1. Juli 1991

 

 

Dienst nach Vorschrift des Rangierpersonals

Am 12. November 1996 löste der RPV zum ersten Mal gesamtschweizerisch einen „Dienst nach Vorschrift“ aus. Er protestierte damit gegen die Lohnabbaupläne der SBB. Während sieben Tagen, vom 13. bis 19. November 1996, wurden die Vorschriften peinlich genau eingehalten. In den Medien fand die Aktion ein grosses Echo. Einige Dienststellenleiter reagierten hingegen nervös und setzten das Rangierpersonal zum Teil erheblich unter Druck. Dabei hielt sich das Rangierpersonal lediglich strikt an die Vorschriften; an diejenigen Vorschriften notabene, nach denen die SBB auch bestrafen, wenn es zu Unregelmässigkeiten kommt. Die Auswirkungen der Aktion „Dienst nach Vorschrift“ hielten sich im Rahmen der Erwartungen. Wegen der Verkehrsflaute kam es nur bei wenigen Güter- und Postzügen zu Verspätungen. Dies allerdings ist ein deutliches Zeichen dafür, dass in einigen Rangierzentern die Abläufe und die Personalbestände überprüft und zum Teil angepasst werden müssen. Dem Personal muss es unbedingt möglich sein, die Vorschriften konsequent einzuhalten, ohne dass der Fahrplan und die Arbeitsabläufe ins Wanken geraten. Nicht alle RPV-Mitglieder waren von der Aktion begeistert. Gesamthaft betrug die Beteiligungsquote nur 50 bis 60 Prozent. Doch es nützt nichts, die Faust im Sack zu machen.
Darauf spielte auch ein Leserbrief in der SEV-Verbandszeitung „arbeit&verkehr“ vom 26. November 1996 an:
„Liebe Kollegen vom Rangierdienst Für Euer tolles Mitmachen an der RPV-Aktion „Dienst nach Vorschrift“ möchte ich allen danken. Den einen fürs mitmachen, den anderen für das Nicht-Mitmachen, denn so lernt man schliesslich seine Kollegen kennen. Für die einen sind alle, die mitgemacht haben, halt nur „Spinnchaibe“. Diesen Ausdruck möchte ich persönlich für unsere Nicht-Mitmacher nicht verwenden. Aber statt sachlich miteinander zu reden, Zivilcourage zu zeigen, ist es natürlich einfacher, anonym in der R-Gruppe SEV-Fahnen anzuzünden. Liebe Kollegen, auch im Fall, dass diese Aktion „Dienst nach Vorschrift“ an unsere Situation nichts ändern wird: Uns, die dabei gewesen sind, hat sie etwas Positives gebracht, es nennt sich Mut und Selbstvertrauen.
Stets offene Signale wünscht Euch allen Euer Sekretär RPV Bern PB. Gfeller „Lenin“ Jöggu, Steffisburg Mut und Selbstvertrauen bewiesen alle, welche mitgemacht und somit den Kollegen im Zentralausschuss RPV den Rücken gestärkt haben. Eines ist klar: Die Arbeitnehmer/Innen in der Schweiz und die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner im besonderen sind nicht mehr gewohnt, harte Arbeitskampfmassnahmen zu ergreifen und sie auch durchzustehen. Sie müssen dies wieder lernen und zwar bevor Ihnen das Wasser am Halse steht. Allen Mutlosen seien deshalb die Worte von Karl Jaspers in Erinnerung gerufen: „Die Hoffnungslosigkeit ist schon die vorweggenommene Niederlage“.

„Quelle: Heft, Jubiläumschrift 100 Jahre RPV SEV“

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